Zuvor hatten wir zweimal ein Kind verloren und meine Frau brachte bereits drei gesunde Kinder mit in die Ehe.
Viertes Kind: Risikoschwangerschaft! Zwei Fehlgeburten: Risikoschwangerschaft!
Trotz der Risiken, aber durch die Erfahrungen meiner Frau bei ihren ersten drei Geburten und unsere gemeinsame Erfahrungen beim Verlust durch die erste Fehlgeburt wusstenwir, was wir nicht wollten: nämlich eine Geburt im Krankenhaus. Für die wenigen Untersuchungen, die technisches Equipment verlangten, nämlich Ultraschall und Laboruntersuchungen nahmen wir die Dienste von Antjes Frauenärztin in Anspruch. Unnötige Ultraschalluntersuchungen nur zu Darstellungszwecken wollten wir ohnehin vermeiden. Die übrigen Vorsorgeuntersuchungen sollte die Hebamme durchführen.
Wir fanden eine Hebamme; Gabi, die auch Hausgeburten begleitet. In unserem
ersten Gespräch wollten wir im Vorfeld Fragen klären, die für uns sehr wichtig waren.
Zum einen wollten wir wissen, ob sie auch eine Zwillingsgeburt zuhause begleiten
würde, ob sie eine Steißlage entbinden kann und ob sie in der Lage ist, einer Geburt
nur beiwohnen zu können. Denn für uns stand fest: wir bringen unser Kind alleine auf
die Welt – und zwar zuhause. Antje hatte in der Vergangenheit schon des Öfteren
erwähnt, dass sie bereits bei ihrer dritten Geburt gerne im Wasser geboren hätte.
Damals wurde ihr diese Möglichkeit im Vorfeld zugesagt, aber zum
Entbindungszeitpunkt stand im Krankenhaus das Becken aus irgendeinem Grund
nicht zur Verfügung. Aber auch in den Folgejahren manifestierte sich dieser Wunsch
und sie war schon fast etwas traurig, diese Möglichkeit bei der Hausgeburt nicht
haben zu können, weil uns eine Geburt in einer Normbadewanne nicht möglich
schien. In der Folgezeit kam die Idee auf, einen Geburtspool müsste man doch auch
leihen können. Antje, ebenfalls im IT-Umfeld tätig, machte sich daran, einen solchen
im Internet zu suchen. Und obwohl sie normalerweise bei solchen Recherchen mit
mehr Ergebnissen als notwendig aufwarten kann, war dieses Suchen recht erfolglos.
Einen einzigen Pool hat sie gefunden, der aus Holzplanken mit einer Teichfolie
ausgelegt zerlegt verschickt werden konnte und für den Zeitraum von einem Monat
für 300,- Euro zu leihen war. Da ich auch handwerklich mir Einiges zutraue,
beschloss ich kurzerhand: Den bau ich mir selbst! Ich fing an, meine Frau zu
vermessen, den Pool im Internet abzuschätzen und habe schon die Zeichnungen mit
den endgültigen Maßen fertig gehabt, als Antje, mit dem schwachen Ergebnis nicht
zufrieden, durch eine neue Recherche auf internationaler Ebene mit dem
Geburtspoolanbieter "Made in Water" in England aufwartete. Dort wurde, umrahmt
von vielen positiven Geburtsberichten, im Kern ein Pool angeboten, der aufblasbar
und speziell für Wassergeburten entwickelt worden sein sollte. Die Aufblastechnik,
die ich zur Genüge von den Kinderplanschbecken her kenne, traute ich zunächst
nicht über den Weg, ließ mich allerdings dazu breitschlagen, die umgerechnet 120,-
Euro für einen Versuch zu investieren. Prompt wurde der Pool "La Bassine"
angeliefert und machte wie auf der Seite beschrieben einen sehr soliden Eindruck.
Zunächst fristete der bereits aufgeblasene Geburtspool kopfüber in der Ecke des
Schlafzimmers ein trockenes Dasein, bis die Sommerhitze und die müden schweren
Beine meiner Frau uns veranlassten, den Pool schon drei Monate vor der Geburt für
Salzwasserbäder zu nutzen. So konnten wir uns auch schon ungefähr vorstellen wie
eine Geburt in so einem Pool ablaufen könnte.
Der errechnete Geburtstermin war der 17. August 2006 und er nahte mit großen
Schritten. Seit Wochen jammerte meine Frau darüber, dass unsere Tochter mit dem
Kopf bereits im Becken, ihr das laufen zur Hölle machte. Immer öfter traf ich meine
Frau im Pool an. Und obwohl unsere Hebamme wie auch die Frauenärztin uns
bescheinigten, dass unser Kind sehr weit entwickelt ist und wohl ein- bis zwei
Wochen früher kommen könnte, war unsere kleine Maus durch nichts dazu zu
bewegen, sich auf den Weg zu machen. Auch als der errechnete Geburtstermin
erreicht war, veränderte sich nichts. Da stand ich nun mit meinem Pool und es gab
nichts zu tun.
Die Wochen bis zur Geburt schienen ewig, aber Nichts im Vergleich zu den Tagen
nach dem Termin. Da ich ungefähr 50 km von meinem Wohnort entfernt arbeite,
hatte ich immer etwas die Befürchtung, zu „meinem“ Geburtstermin zu spät kommen
zu können. Am Sonntag vor der tatsächlichen Niederkunft waren wir noch im
Thermalbad, um „die Sache“ thermisch etwas zu beschleunigen, doch auch Dies
interessierte unsere Tochter ebenso wenig wie die einen Tag vor dem errechneten
Geburtstermin veranstaltete Akupunktursession zur Geburtseinleitung. Unsere
Hebamme, Gabi, blieb dennoch ganz ruhig und versicherte uns, dass das Baby
kommen würde, wenn es bereit dazu ist und noch keines drinnen geblieben wäre.
Durch die zahlreichen Besuche während der Schwangerschaft, in deren Verlauf ein
Abgrenzen zwischen privaten und geburtsbezogenen Themen nicht wirklich
eindeutig zu unterscheiden war, hatten wir soviel Vertrauen zu ihr aufgebaut, dass
wir unbesorgt abwarten konnten.
Der 22. August. Auch dieser Tag begann wie die Tage zuvor, indem ich zur Arbeit
fuhr. Ich hatte mir für den Abend vorgenommen, noch ein paar Besorgungen und
Einkäufe zu erledigen, da meine Frau in ihrem jetzigen Zustand weder autofahren
noch länger auf den Beinen sein konnte. Ich weiß nicht warum, aber an diesem Tag
habe ich früher Feierabend gemacht. Ich war gerade im Nachbarort angekommen,
als meine Frau mich auf dem Handy erreichte, um mir mitzuteilen, dass ich heute
besser keine Überstunden machen sollte. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass ich
praktisch schon zuhause war. Sie sagte, die Wehen hätten gegen 14 Uhr begonnen
und wären von 25 Minuten anfänglich nun bei 13 Minuten Abstand und schon seit
geraumer Zeit unverändert. Ich machte meine Besorgungen ohne Hektik und fuhr
anschließend nach hause, wo mich meine Frau freudig begrüßte und mir sagte, dass
wir bei 9 Minuten angelangt wären. Ich überschlug kurz und dachte, so bis in zwei
Stunden sollte es so weit sein. Doch ich hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht
(im wahrsten Sinne des Wortes). Die anfängliche Euphorie legte sich, als nach drei
Stunden die 9-Minuten-Schwelle immer noch nicht unterschritten war. Gegen 20 Uhr
beschlossen wir, zunächst nur zur Entspannung den Pool mit Wasser zu befüllen. Ich
bat meine Frau zwecks Füllhöhen- und Temperaturüberprüfung es sich schon mal im
Pool gemütlich zu machen. Interessanterweise war der Wehenabstand noch bevor
die Füllhöhe erreicht war, auf 5 Minuten gefallen, so dass wir bei 2/3 Füllhöhe
stoppten. Die Wassertemperatur betrug 35 Grad. Im Wasser befanden sich 3kg
Totesmeersalz - und meine Frau natürlich. Als es kurz vor 21 Uhr war rief ich der
Hebamme an und sagte ihr, dass es sicherlich nicht übereilt wäre wenn sie sich
sofort auf den Weg machen würde.
Die zwei Jungs 9 und 11 Jahre waren außer Haus untergebracht und die 17 jährige
Tochter Nadja wollte dabei sein. Zu ihrer moralischen Unterstützung hat Antje ihre
beste Freundin gebeten sich um Nadja zu kümmern. An der Haustür prangte bereits
das Schild:“ Bitte nicht stören – Hausgeburt“ um den evl. von Nachbarn
herbeigerufenen Polizisten die Schreie der werdenden Mutter erklären zu können.
Aber wie ich heute weiß hat keiner der Nachbarn etwas von der Niederkunft
mitbekommen – trotz der Schreie während der Presswehen.
Auf mich wirkte die Schreiatmung nicht beängstigend, vielleicht weil ich von meiner
Kampfsport-Erfahrung her weiß, dass der Kiai (der Kampfschrei) ungeahnte Kräfte
freisetzen kann und diese bei einer Geburt ohne Zweifel auch gebraucht werden.
Das Telefon war abgestellt wie auch später die Haustürklingel.
Es war mittlerweile kurz vor 22.00 Uhr und von der Hebamme wie auch der Freundin
keine Spur.
3-4 Minuten getaktet – war Antje auf jeden Fall beschäftigter als ich. Die Tür klingelte
und die vermissten waren da. Sie hatten sich zufällig vorm Haus getroffen.
Unser Schlafzimmer, damals zum Geburtshaus umfunktioniert, ist ein großer Raum
in einem ehemaligen Stall unter dem Dach. In 2 Metern Höhe sind Balken auf Sicht
und die Zwischenräume frei mit Blick auf die Dachschrägen. An einem Balken, genau
über dem Pool hing ein Babytragetuch zum Halteseil verknotet. Die Jalousien an den
Fenstern waren geschlossen und unzählige Kerzen füllten den Raum mit einem
angenehmen Licht.
Gabi begutachtete meine Frau in ihrem Pool und ihr war klar : es hat angefangen
und würde nicht mehr lange dauern. Jetzt noch mal schnell ans Auto, um die
Instrumente zu holen und dann mit dem Hörrohr noch einmal die Herztöne der
Kleinen abzuhören. Doch zwischen den Wehen war keine Zeit mehr, irgendetwas zu
kontrollieren. Meine Frau hielt sich am Tragetuch fest und kniete dabei, den
Oberkörper auf dem Beckenrand aufstützend. Zu diesem Zeitpunkt hockte ich noch
außerhalb des Pools vor meiner Frau und hielt sie fest. Gabi überprüfte
zwischendurch gelegentlich den Geburtsfortschritt. Es war schon 20 Minuten nach 22
Uhr, als nach einer sehr starken Wehe weitere Wehen plötzlich ausblieben. Gabi, die
Hebamme, meinte, das sei die letzte Pause, bevor das Kind geboren wird. Ich
gesellte mich zu meiner Frau ins Becken und positionierte mich seitlich neben ihr, als
auch schon die nächste Wehe heranrollte. Ich ertastete bereits das Köpfchen
unserer kleinen Marla. Die Hebamme wies noch einmal darauf hin, dass der Kopf
des Kindes zu keinem Zeitpunkt über die Wasseroberfläche kommen darf.
Antje verstummte und ich hatte unsere Kleine in Händen. 22.26 Uhr Sie ist da!
Das war das überwältigendste Ereignis in meinem Leben. Ein Wunder und ich habe
es auf die Welt gebracht. Zugegeben, eigentlich war es meine Frau, aber ich war der
erste Mensch, der sie berührte und ihr geholfen hat, auf die Welt zu kommen. Wie
man als Mann in dieser Situation bewusstlos werden kann, ist mir ein Rätsel. Ich
hätte dazu überhaupt keine Zeit gehabt. Auch der eigentliche Vorgang der Geburt,
den ich trotz gedämpften Lichtes gut verfolgen konnte, wirkte auf mich in keinster
Weise schrecklich oder eklig, schließlich ist durch diesen Vorgang meine Tochter auf
die Welt gekommen.
Etwas umständlich bugsierte ich die kleine Marla zwischen den Beinen meiner Frau
nach vorne, um sie dann endgültig aus dem Wasser heben zu können. Zu diesem
Zeitpunkt wusste ich noch nicht, ob sie lebt (Kontrollen waren ja nicht möglich
gewesen). Ich hob sie aus dem Wasser und legte sie auf meine Oberschenkel, so
dass nur ihr Kopf oberhalb des Wasserspiegels war. Erschöpft und erleichtert kniete
nun auch Antje neben mir, noch nicht ganz realisierend, dass es vorbei war. Dicht an
mich gedrängt, weil die Nabelschnur recht kurz war, verharrten wir, unsere neue
Erdenbürgerin im Kerzenschein betrachtend. Langsam öffnete sie die verklebten
Augen und ohne zu schreien erkundete sie scheinbar ihre neue Umgebung. Sie
hustete, nieste und befreite sich von allem, was ihre Atmung behinderte, ohne
Zeitdruck und ohne Hast, da die Versorgung über die Nabelschnur noch
sichergestellt war.
Heute kann ich nicht mehr sagen, wie lange wir so da saßen, stumm, weinend vor
Glück und fast ungläubig unsere Tochter anstarrend, bis Gabi meinte, die
Nabelschnur wäre auspulsiert und man könne sie nun durchtrennen. Diesen Akt
sollte und wollte unsere große Tochter durchführen. Jetzt war Marla wirklich auf der
Welt.
Ich entfernte mich mit meiner neugeborenen Tochter Marla vom Pool und legte mich
daneben ins Bett und sie nackt auf meinen ebenfalls nackten Oberkörper und deckte
sie zu. Nachdem auch die Plazenta geboren war, und die Hebamme Antje nach
Dammverletzungen untersucht hatte, aber keine gefunden wurden, legte sich meine
Frau zu uns. Während sie versuchte die kleine Marla zum ersten Mal anzulegen, half
ich der Hebamme, die Nachgeburt auf Vollständigkeit zu prüfen. Da ich sicher war,
dass Antje am nächsten Tag gleichfalls einen Blick darauf werfen wollte, habe ich sie
sorgfältig eingepackt. Zugegeben, der Anblick der Nachgeburt ist vielleicht nichts für
schwache Nerven, also sagen wir es mal so, derjenige, der wenn er das Schwein
selbst erlegen müsste, zum Vegetarier werden würde, hätte hier wohl aufgegeben.
Für mich dagegen war dieses Stück „Fleisch“ das Teil, welches möglicherweise bei
den zwei Schwangerschaften zuvor versagt hatte, aber in diesem Falle ein Leben
ermöglichte. Ich kann das nicht einfach trennen, weil es nach allgemeinen
Maßstäben als unschön gilt.
Es muss so gegen 2 Uhr morgens gewesen sein, als uns die Gabi mit der Aussage
verließ, sie würde im Laufe des Vormittages wieder vorbeischauen.
Wir hatten eine anstrengende Nacht hinter uns, doch an Schlaf war nicht zu denken.
Wir lagen nur da und betrachteten unser Kind, dem eine Einleitung, eine Geburt in
Rückenlage, ein Kaiserschnitt, eine Saugglocke und was es noch alles so gibt,
erspart blieb.